Wie das 'social distancing' zu unerwarteter Nähe führt.

Bei allem, was mir aktuell Sorgen macht und sich bedrohlich anfühlt, werde ich täglich überrascht, wie ‚einfach‘ es plötzlich wird, mit fremden Menschen in Kontakt zu kommen. Und zwar in echten Kontakt, mit echtem Interesse und echtem Austausch. 

Ich bin kein Mensch, in dessen Natur es liegt, einfach so mit Fremden quatschen zu können (und zu wollen). Oft fühle ich mich eher schüchtern und zurückhaltend.

In diesen Tagen passiert es mir nun immer häufiger, dass ich entweder angesprochen werde und mich auf einen Kontakt einlasse, oder auch, dass ich ein Gespräch initiiere und spüre, wie mein Gegenüber sich auf mich einlässt. 

Sei es, dass ich auf der Straße angesprochen werde, wo ich denn meine hübsche Baumwoll-Mundschutzmaske her habe - und dabei ‚smalltalk‘ führe, was plötzlich kein smalltalk mehr ist, sondern ein fürsorgliches und dankbares Sprechen zwischen Fremden… (Ich habe die Maske übrigens von einer Schneiderin um die Ecke, deren Shop natürlich geschlossen ist, die aber den ganzen Tag an ihrer Nähmaschine sitzt und übers Fenster Mundschutze für nen Fünfer pro Stück verkauft: www.creationpiafischer.de >>> Eisenacher Str. 69 in Berlin // am Fenster klopfen zwischen 12-18 Uhr) 

Oder, dass ich ein gebrauchtes Buch über ebay-Kleinanzeigen erstanden habe, und der (mir fremde) Verkäufer sich aufs Rad schwingt und bei mir vorbeiradelt, um es mir zu bringen - und wir in meinem Hausflur in ein überraschend intensives Gespräch geraten, über das, was passiert, aber vor allem über das, was darin gerade zu wenig öffentliche Beachtung und Auseinandersetzung findet… 

Oder, dass ich mit dem Kassierer in meinem Supermarkt ins Reden komme, weil ich frage, wie es ihm ergeht - und es möglich wird, an diesem eigentlich unmöglichen Ort für ein Gespräch tatsächlich ins Gespräch zu kommen.

Oder, dass es mittlerweile schon zu einer neuen 'Gewohnheit' wird, beim abendlichen Balkon-Konzert die Nachbars-Kinder von gegenüber am Fenster und Balkon persönlich zu begrüßen...

Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen, und ich bin mir sicher, dass jeder Mensch gerade Erfahrungen macht, die in diesen Bereich hineingehen.

Eine Freundin hat neulich zu mir gemeint: Der Begriff ‚social distancing‘ ist doch eigentlich gar nicht zutreffend. Es müsste eher ‚body‘ oder ‚physical distancing‘ heißen - denn das ‚social‘, das geht ja überhaupt nicht auf Distanz - im Gegenteil, es blüht auf und entwickelt neue, ungeahnte Kräfte, die uns eine Ahnung geben von dem, wozu wir Menschen tatsächlich und ganz eigentlich in der Lage sind.

Das ist das größte Geschenk dieser Tage für mich.

 

D a n k e Menschen, für’s wieder menschlich werden.

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