Wider Willen. Bericht einer Spielerin, die nicht spielen wollte.

Ich war von Mitte Januar bis Mitte März als Schauspielerin für eine Theaterproduktion in Österreich an einer freien Off-Bühne engagiert war. Mein letzter Vorstellungs-Block dieser Produktion lag auf den Tagen 12./13./14. März 2020. Da es mir nicht darum geht, jemanden anzuprangern, habe ich die Namen geändert. 

 

Am Mittwoch (11.3.) ist die Verordnung, dass Veranstaltungen nur noch von maximal 100 Menschen besucht werden dürfen, bereits erlassen. Es gibt bereits Empfehlungen, größere Menschengruppen zu vermeiden und Abstand zu halten, um sich keinem unnötigen Risiko einer Ansteckung auszusetzen. Am Mittag schickt das Theater, an dem ich engagiert bin, eine Rundmail an das Ensemble mit folgendem Inhalt: Die letzten 3 Vorstellungen werden stattfinden, und die Besucher*innenzahl wird auf 90 Personen beschränkt.

Ich reagiere wenig später mit einer Antwort Mail darauf: dass ich Unsicherheit empfinde, ob das eine gute Entscheidung sei - nicht (nur) für mich, sondern auch für das Publikum bzw. alle Personen, die im Rahmen der Vorstellungen zusammenkommen. Ich erwähne, dass wir Künstler*innen Verantwortung tragen, und frage, ob ein Gespräch möglich sei. Außerdem hänge ich noch ein Statement der ZDF Moderatorin Dunja Hayali an, von dem ich glaube, dass es mir helfen wird, mich meinem Theater gegenüber verständlich machen zu können. Zitat: »(…) Somit kamen wir zu dem Schluss, dass wir nicht eine abgesenkte ‚Maximalzahl von Besuchern‘ für Veranstaltungen abwarten, sondern gelassen aber seriös einen Beitrag dazu leisten möchten, eine unnötige Ausbreitung des Virus verantwortungsvoll zu vermeiden, mindestens aber zu verlangsamen. (...) Denn sinnvolle Prävention ist ganz sicher keine Hysterie.“

Danach versende ich (da ich kein WhatsApp mehr habe) einzeln an meine vier Bühnen- Kolleg*innen eine SMS, dass ich unsicher bin, ob ich es vertreten kann zu spielen, und frage nach deren Meinung und Empfinden. Eine Antwort ist: Sei dir bewusst, wenn du nicht spielst, wirst du vertragsbrüchig. Eine andere: Ich würde spielen, die Theaterleitung bewegt sich ja in ihrem rechtlichen Rahmen. Eine weitere: Mir ist es eigentlich egal. Die vierte Person antwortet gar nicht.

 

Am Donnerstag Mittag (12.3.) finde ich eine Reaktion des Theaters in meinem Postfach. Die Entscheidung bleibt bestehen: Wir sollen spielen. Es wird darauf hingewiesen, dass das Haus sich damit im legalen Rahmen bewegt. Und sie finden es wichtig, einen 'Teil der Normalität' aufrechtzuerhalten. 

Ich rufe im Theater an und frage, ob ich vorbeikommen kann. Kann ich. Dort treffe ich nur auf einen der beiden Theaterleiter, Axel (Name geändert). Der andere Theaterleiter Hans (Name geändert), zugleich der Regisseur von meinem Stück, ist außer Haus. Ich spreche also unter vier Augen. Das geht gut. Ich kann in Ruhe berichten, wie ich empfinde, und dass ich denke, wir könnten mehr tun als nur eins zu eins das, was von oben verordnet wird. Ich werde gehört, und Axel denkt über das, was ich sage, nach. Das kann ich sehen. Er sagt zu mir, dass er sich nochmal mit Hans besprechen wird, und sich dann wieder bei mir meldet. Damit bin ich einverstanden. 

Etwa anderthalb Stunden später bin ich erneut im Theater, nun sind beide Theaterleiter anwesend, dazu sitzt die Sekretärin (schweigend) ebenfalls im Raum hinter ihrem Computer. Was nun geschieht, trifft mich überraschend und knallhart. Hans unterstellt mir, dass ich ihm unterstelle, er hätte eine leichtfertige Entscheidung getroffen. Er teilt mir laut und deutlich mit, wie überheblich meine Haltung sei, denn bitteschön jede Person, die ins Theater kommt, habe eine eigene Verantwortung, die ich ihr nicht absprechen dürfe. Ich erinnere daran, dass zwei Tage zuvor bei einem Monologstück in diesem Haus (ich war selbst im Publikum) mehrere deutlich kranke Personen im Zuschauerraum saßen und offensichtlich nicht in der Lage waren, ihre eigene Verantwortung tatsächlich zu übernehmen - ganz zu schweigen davon, dass ja auch Menschen, die scheinbar gesund wirken, sich möglicherweise in der Inkubationsphase befinden und gar nicht wissen können, ob sie tatsächlich gesund sind oder bereits krank. All dies wird abgeschmettert mit der Zuschreibung, dass ich ja völlig panisch und hysterisch sei. Ich solle doch den Experten vertrauen, und sie befänden sich doch exakt im rechtlichen Rahmen der Verordnung von oben. Das „Gespräch“ verläuft katastrophal, und an der Entscheidung verändert es nichts. 

Als ich schließlich frage, was für Konsequenzen mich denn erwarten, wenn ich mich dazu entscheide, nicht zu spielen, und ich nach mächtigem Herumgeeier erfahre, dass dann die Konventionalstrafe zum Zuge kommt (in meinem Fall wären das über 3.000 Euro), erbitte ich mir Bedenkzeit. Wir einigen uns auf eine knappe Stunde, damit genug Zeit bleibt, um ggf. dem Publikum abzusagen. Es wird noch gesagt, dass mich ja niemand „zwingt“, auf die Bühne zu gehen - aber mit dieser Strafe, das liegt wohl auf der Hand, habe ich nicht wirklich eine Wahl.

Zu Hause lasse ich mich von der IG Theater rechtlich beraten. Schnell wird klar: Um die Konventionalstrafe komme ich nicht drumrum, nicht beim aktuellen Stand der Dinge. 

Ich ringe mit mir, ob ich die hohe Strafe in Kauf nehme. Um der Sache willen, und um ein Statement zu setzen. Unter arger Zeitnot entscheide ich mich schließlich dafür, zu spielen - aber deutlich ausgesprochen „wider Willen“. 

Als ich abends ins Theater komme, frage ich alle Beteiligten, ob wir uns nach der Vorstellung zusammensetzen und austauschen können. Ich treffe kleine Vereinbarungen zur Veränderung mit den Kolleg*innen, wo es mir nötig erscheint, um genügend Abstand auf der Bühne zu wahren. Wir spielen vor 21 Menschen. Nach der Vorstellung treffen wir uns zu elft im Maskenraum. Ich fasse kurz zusammen, wie mein Tagesverlauf mit den zwei Gesprächen bisher war, äußere meine anhaltenden Bedenken und frage, was die Meinung der anderen ist. Schweigen. Nur schleppend kommt ein Austausch in Gang. Mit viel Zögern sprechen wir über die Möglichkeit, am nächsten Tag nochmal gemeinsam mit Axel und Hans ins Gespräch zu gehen. Doch je mehr ich mich engagiere, umso schneller wiederholt sich exakt dasselbe wie wenige Stunden zuvor mit Hans: Mir wird (wieder) unterstellt, ich würde unterstellen, dass sich mit der Entscheidung keine Mühe gemacht wurde. Mir wird (wieder) vorgeworfen, völlig hysterisch und panisch zu agieren. Und mir wird nahegelegt, dass wir ja sowieso nichts erreichen werden, selbst wenn wir zur Theaterleitung gehen. Als sich der ältere Kollege gegen mich zu ereifern beginnt, dass ich ihn ja offensichtlich dazu drängen würde, sich meine Parole (also „nicht spielen“) auf die Fahne zu schreiben - was ich zu keiner Zeit formuliert und gefordert habe - und er dabei laut wird, breche ich ab und gehe nach Hause. Mir ist etwas passiert, das mich zutiefst erschreckt: Ich bin zwei Mal innerhalb kürzester Zeit an einen Punkt gekommen, wo es egal wurde, was ich sage. Es gab einen Stempel, der Stempel der Panik, der, einmal fälschlich auf meiner Stirn, nicht mehr zu revidieren war. Je stärker ich versucht habe, mich zu erklären, desto stärker wurde mir gesagt: Du drehst ja völlig durch. (Nur am Rande: Und wenn es echte Panik gewesen wäre: wie wär’s denn mal mit Mitgefühl?)

Am Freitag Nachmittag schließlich finde ich eine Mail des Theaters, dass sie nun aufgrund neuerlicher dringender Empfehlungen der österreichischen Bundesregierung die zwei letzten Vorstellungen absagen werden. Endlich. Zu mir persönlich: nichts. 

 

Meine Heimreise über die österreichisch-deutsche Grenze zurück nach Berlin verläuft (noch) gut. Mittlerweile bin ich zu Hause und mache die empfohlenen 14 Tage Quarantäne als Rückkehrerin aus Österreich.

geschrieben am 16.03.2020

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